Sicher auf dem Schulweg – Tipps von der Verkehrsexpertin

Die Einschulung steht vor der Tür. Für die angehenden Erstklässler ist dies ein aufregendes Ereignis. Neben Geschenken zur Einschulung und einer gebastelten Schultüte kommen viele neue Anforderungen auf die Kinder zu.

Der tägliche Weg zur Schule stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Für die Verkehrsanfänger ist er vor allem eine große Gefahrenquelle für Unfälle. Aber wodurch kann die Sicherheit auf dem Schulweg erhöht werden und wie kannst du als Elternteil oder Lehrkraft zur Schulwegsicherheit beitragen?

Wir haben bei der Verkehrsexpertin Dr. Sybille Birth von der Intelligenz System Transfer GmbH Potsdam nachgefragt. Sie befasst sich mit den menschlichen Fähigkeiten und Grenzen der Wahrnehmung (Human Factors) und setzt sich national und international für eine logische Gestaltung des Straßenraums ein, die dazu beiträgt, dass Unfälle vermieden werden können.

Im Interview mit Dr. Sibylle Birth

Wundermagazin: Der sichere Schulweg ist für die Eltern von künftigen Schulkindern ein wichtiges Thema. Sind Kinder im Straßenverkehr denn besonders gefährdet?

Sibylle Birth: Nicht nur Kinder sind im Straßenverkehr besonders gefährdet, sondern generell alle Fußgänger und Radfahrer. Im Gegensatz zu Erwachsenen haben Kinder aber andere Voraussetzungen. Sie sind zum Beispiel kleiner als Erwachsene. Dadurch nehmen sie den Verkehrsraum ganz anders wahr und werden von anderen Verkehrsteilnehmern leichter übersehen. Schwierige, unübersichtliche Stellen im Straßenraum sind für die Kinder daher noch kritischer.

Aufgrund ihrer Körpergröße ist es für Kinder auch total schwer, über parkende Autos hinwegzuschauen. Sehr häufig werden wartende Kinder auch von den Autos verdeckt, sodass sie für Autofahrer kaum zu erkennen sind.

WM: Gibt es besondere Gefahrenstellen für Kinder?

SB: Eine besondere Gefahr besteht immer dort, wo Autos sehr schnell fahren. Wenn sich im Seitenraum der Straße eine Schule befindet und der Fußgängerüberweg oder die Querung nicht deutlich erkennbar sind, dann ist es sehr schwer für die Kinder, dort vernünftig über die Straße zu kommen. Und die Autofahrer sehen auch keinen Anlass, die Geschwindigkeit entsprechend zu reduzieren.

„Bunte Säulen auf beiden Seiten der Schule aufgestellt, machen auf Schulkinder aufmerksam.“

WM: Wie kann mithilfe des Human Factors-Ansatzes die Sicherheit der Kinder auf dem Schulweg erhöht werden?

SB: Der Human Factor-Ansatz geht davon aus, dass Verkehrsteilnehmer unbewusst auf das Erscheinungsbild einer Straße reagieren. Breite Straßen laden zum Beispiel dazu ein, schnell zu fahren oder wir überqueren Straßen gern an Stellen, wo uns der Weg am Kürzesten erscheint.

Für die Sicherheit der Kinder auf dem Schulweg bedeutet das, dass man den Straßenraum so gestalten muss, dass die Kinder auch von Weitem erkennbar sind. Man kann zum Beispiel den Bordstein verlängern, sodass Autos an den Querungsstellen nicht mehr parken können – oder man sichert mithilfe von Fußgängerinseln das Überqueren der Straße.

Es bietet sich aber auch an, die Straße und die Straßenumgebung optisch so zu gestalten, dass die Verkehrsteilnehmer genau wissen, was sie erwartet. In Potsdam-Mittelmark wurden zum Beispiel bunte Säulen auf beiden Seiten der Straße vor Schulen aufgestellt, die auf die Schulkinder im Umfeld aufmerksam machen. Dadurch konnte die Durchschnittsgeschwindigkeit der Fahrzeuge vor den Schulen um bis zu acht Stundenkilometer reduziert werden und das ist eine gute Sache.

Stoppersäulen

WM: Wie können sich Eltern diese Erkenntnisse zunutze machen und ihr Kind auf den Schulweg vorbereiten?

SB: Die Eltern können mithilfe einer Human-Factors-Checkliste den Schulweg auf Gefahrenstellen prüfen. Die Checkliste ist Bestandteil des Leitfaden Schul- und Spielwegsicherheit, den man sich kostenlos beim Bildungsserver Berlin-Brandenburg downloaden kann. Er enthält auch viele weitere Tipps und Informationen zum sicheren Schulweg.

Sinnvoll ist es, wenn die Eltern den Schulweg über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder mit den Kindern gemeinsam einüben und korrigieren, damit Routinen entwickelt werden.

Mein Tipp für die Eltern: Wenn man Verhalten wirklich einüben will, dann ist es für ein Kind alleine viel schwieriger, als wenn man zwei oder drei Kinder zusammennimmt, die den gleichen Weg gehen und in der Gruppe unterwegs sind. Das hat auch den Vorteil, dass sich die Kinder dann gegenseitig auf die Verhaltensregeln aufmerksam machen.

„Schulwegpläne müssen immer aktuell sein.“

WM: Viele Schulen bieten sogenannte Schulwegpläne an. Wie sinnvoll sind diese Pläne und wie sollten sie aufgebaut sein?

SB: Die Schulwegpläne haben zwei Seiten und insofern bin ich bei Schulwegplänen immer mit einem weinenden und einem lachenden Auge dabei. Die eine Seite ist, dass sie den Schulweg und die Gefahrenstellen darstellen und darauf aufmerksam machen, an welchen Stellen man aufpassen muss. Die andere Seite ist, dass es oft beim Aufzeigen der Gefahrenstellen bleibt und diese nicht beseitigt werden.

Schulwegpläne müssen eigentlich immer aktuell sein, leider sind sie teilweise aber veraltet. Dann kann sich der gut gemeinte Schulwegplan in sein Gegenteil verkehren.

WM: Kinder kommen auf unterschiedliche Arten zur Schule. Gibt es Mobilitätsformen die sicherer sind als andere?

SB: Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule kommen, das geringste Unfallrisiko haben – als Fahrradfahrer und Fußgänger haben sie leider immer noch das höchste Unfallrisiko.

„In den meisten Städten müssen Kinder auf dem Fahrrad sehr komplexe Verkehrssituationen bewältigen.“

WM: Ab wann können Kinder mit dem Fahrrad allein zur Schule fahren?

SB: Da gibt es sehr unterschiedliche Ansichten und die Empfehlung ist ganz stark davon abhängig, wie gut in der jeweiligen Gemeinde die Fahrradwege ausgebaut sind.

In den meisten Städten müssen Kinder auf dem Fahrrad sehr komplizierte Verkehrssituationen bewältigen. Viele Fahrradwege sind auch einfach nicht gut genug ausgebaut und das birgt große Gefahren. Daher wird empfohlen, dass man sein Kind frühestens ab etwa zehn Jahren mit dem Fahrrad alleine losschicken sollte.

Wenn der Schulweg ganz unkompliziert ist, ist es aber auch kein Problem das Kind früher, vielleicht mit neun oder mit acht Jahren, mit dem Fahrrad zur Schule radeln zu lassen.

Kinder auf dem Fahrrad

WM: Wie können die Eltern selbst zur Sicherheit auf dem Schulweg beitragen?

SB: Die Eltern sollten schauen, welche Gefahrenstellen es auf dem Schulweg ihres Kindes gibt. Wo wird beispielsweise die Wahrnehmung beeinträchtigt, wo wird der Autofahrer verleitet, viel zu schnell zu fahren, wo ist die Situation unübersichtlich und wo gibt es Stolperstellen? Das sind die vier wichtigsten Merkmale.

Und dann sollten sich die Eltern dafür einsetzen, dass diese Gefahrenstellen beseitigt bzw. vernünftig gestaltet werden. In Griesheim hat man das beispielsweise sehr schön und kreativ gelöst. Die Schulwege der Kinder wurden mit sehr schönen Objekten ausgestattet und farbige Fußspuren auf das Pflaster gemalt. So werden die Autofahrer immer wieder daran erinnert, dass Kinder überraschend auf die Fahrbahn treten können.

WM: Warum kommt es vor den Schulen morgens häufig zum Verkehrschaos und wie kann es gelöst werden?

SB: Wenn Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, tritt ein bestimmtes Phänomen ein. Solange das eigene Kind im Auto sitzt, sind die Eltern recht vorsichtig. Aber sobald das eigene Kind ausgestiegen ist, wollen sie relativ schnell weg. Dadurch entstehen manchmal sehr gefährliche Situationen vor den Schulen.

Die Eltern sollten untereinander organisieren, wie sie das handhaben. In Kleinmachnow gibt es dafür ein sehr schönes Beispiel. Hier haben sich die Eltern an einer Schule selber ein Einbahnstraßensystem ausgedacht und sich Verhaltensregeln gegeben, also zum Beispiel nur dreißig Sekunden halten. Dadurch sind alle ganz ruhig, warten diszipliniert und es klappt hervorragend. Das finde ich so klasse und so gut – das Beispiel sollte wirklich Schule machen.

„Sobald die Kinder selber mitmachen, sind sie motiviert.“

WM: Wie können Lehrkräfte die Kinder auf den Schulweg vorbereiten?

SB: Es gibt gute empfehlenswerte Programme, auf die man als Lehrkraft zurückgreifen kann wie zum Beispiel die Schulwegdetektive aus Nordrhein-Westfalen oder die Kleinen Adler für sichere Schulwege aus Brandenburg.

Bei den Projekten gehen die Kinder gemeinsam mit Erwachsenen, zum Beispiel mit Lehrkräften, Polizisten oder Eltern, die Wege ab, untersuchen ihr Schulumfeld auf Gefahrenstellen und notieren die Orte, an denen sie sich unsicher fühlen. Da können die Lehrkräfte sehr schön sehen, wo etwas verändert oder verbessert werden sollte und andererseits kann man so auch eine tolle Projektwoche gestalten.

Das Besondere daran ist, dass die Kinder selbst aktiv werden und lernen, ihren Schulweg zu beobachten. Die Reflektion über den eigenen Schulweg ist wichtig und ein guter pädagogischer Ansatz, der die Kinder auch motiviert. Wenn die Schüler einen Vortrag hören, sind sie nicht motiviert, sobald sie aber selber mitmachen können, sind sie motiviert und das fördert das Lernen. Also immer raus auf die Straße und dann zusammen schauen, was an dem Schulweg auffällt!

Vielen Dank an Sibylle Birth für das interessante Interview! Alles was dein Kind für einen perfekten Schulstart braucht, erfährst du hier

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